Projekt des Monats

Energieeffizienz |

Konzept - Definition und Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes am Beispiel der Stadt Bielefeld


Im Frühjahr 2020 beschloss der Rat der Stadt Bielefeld das Ziel, die städtischen Gebäude bis 2030 „nahezu klimaneutral“ zu betreiben. Dazu wurde die Betriebsleitung des Immobilienservicebetriebs (ISB) der Stadt Bielefeld aufgefordert, ein Konzept zu erarbeiten, aus dem hervorgeht, ob und wie die beschriebenen Ziele bereits bis 2030 erreicht werden können. Die Erarbeitung dieses Konzeptes erfolgte durch das Öko-Zentrum NRW in enger Zusammenarbeit mit dem ISB.

Wie definiert man einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“?

Bei der Definition des Ziels für einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ bezog man sich in Bielefeld auf die Studie „Klimaneutraler Gebäudebestand 2050“ des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2016. Aus dieser Definition resultieren einige Fragestellungen hinsichtlich der Anwendbarkeit und der praktischen Überprüfbarkeit des Ziels. Daher wurde die Zieldefinition so präzisiert, dass sie einfacher anwendbar ist und dennoch die gleiche Klimaschutzwirkung entfaltet. Nach einem längeren Abstimmungsprozess mit Politik und Verwaltung lautete die präzisierte Zieldefinition:

„Bis zum Jahr 2030 sollen die beim Betrieb der Gebäude anfallenden, flächenbezogenen Treibhausgas-Emissionen um 80 % gegenüber dem Jahr 2008 gesenkt werden.“

In Zahlen …

Im Jahr 2008 lagen die THG-Emissionen der städtischen Gebäude mit einer Fläche von rund 755.000 m² bei ungefähr 28.400 t/a. Daraus ergibt sich ein flächenbezogener Emissionswert von 37,6 kg/m²a als Ausgangsbasis.

Bis 2018 konnte dieser Wert bereits um rund 30 % auf 26,4 kg/m²a gesenkt werden. Für eine Reduktion um 80 % gegenüber 2008 muss bis 2030 ein flächenbezogener Emissionswert von 7,5 kg/m²a erreicht werden.

    Für die Bewertung der Klimawirkung der Gebäude und die Ermittlung der THG-Emissionen war es von elementarer Bedeutung, die Randbedingungen zur Berechnung der Treibhausgasemissionen zu definieren. Dies betraf hier insbesondere den Umgang mit derzeitigen und zukünftigen Emissionsfaktoren für Strom und Fernwärme.

    Reduktionspotenziale
    Nach der Präzisierung der Zieldefinition und der Festlegung von Randbedingungen wurden im zweiten Schritt mögliche Maßnahmen zur Zielerreichung ermittelt und deren Reduktionspotenziale abgeschätzt. Damit sollte untersucht werden, ob und wie das Ziel eines „nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes“ erreicht werden kann. Es wurden die nachfolgend genannten Aspekte betrachtet, jeweils Annahmen zum Umfang getroffen und das Reduktionspotenzial abgeschätzt:

    • Bauliche Maßnahmen
    • Energieträgerwechsel
    • Emissionsfaktor des Stromnetzes
    • Kompensation über Photovoltaik-Anlagen (PV)
    • Sonstige Einflüsse und dynamische Entwicklungen

    Unter Berücksichtigung der hier untersuchten Aspekte ergab sich ein möglicher Pfad zur Zielerreichung bis 2030, der zwischen den eigenen und den externen Einflüssen unterscheidet.

    THG-Reduktionen durch Maßnahmen der Kommune
    Die Darstellung zeigt auf dem hellblauen Pfad das prognostizierte Potenzial für Treibhausgas-Einsparungen, die durch die Stadt Bielefeld und die Stadtwerke bis zum Jahr 2030 insgesamt erzielt werden können. Darin sind die Potenziale aus bauliche Maßnahmen, aus dem Energieträgerwechsel bei der Wärmebereitstellung und aus Kompensationsmaßnahmen durch die Erzeugung und teilweise Einspeisung von selbsterzeugtem erneuerbarem Strom zusammengefasst. Zwischen 2008 und 2018 wurden in diesem Bereich bereits THG-Reduktionen von etwa 6,5 kg/m²a erzielt. Bis 2030 kann der Bereich ein weiteres Reduktionspotenzial von ca. 14,2 kg/m²a leisten. Dies erfordert jedoch in den nächsten 10 Jahren auch eine Verdoppelung der bisherigen THG-Reduktionen aus den letzten 10 Jahren.

    THG-Reduktionen durch externe Einflüsse
    Der hellgrüne Pfad in der Darstellung beschreibt die restliche erforderliche THG-Reduktion durch externe Einflüsse, die nicht direkt im Wirkungsbereich der Kommune liegen. Hier wird ersichtlich, dass mehr als ein Drittel der zwischen 2008 und 2030 erforderlichen THG-Reduktion aus der Veränderung der Emissionsfaktoren für Strom und Fernwärme resultiert und somit ohne eigenes Zutun der Kommune realisiert werden kann. Insbesondere der Emissionsfaktor für den Energieträger Strom spielt hier eine entscheidende Rolle.

    Dennoch verbleiben Emissionen in Höhe von ca. 2.600 Tonnen CO2e pro Jahr, die durch weitere externe Effekte eingespart werden müssen und die eine sichere Zielerreichung erschweren. Dieser Reduktionsanteil ist dynamischen Entwicklungen unterworfen, die nur unwesentlich beeinflusst werden können.

    All diese Einflüsse sind für die Zielerreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes relevant, aber nur bedingt quantifizierbar. Daher müssen diese Prozesse in den nächsten Jahren beobachtet werden. Bei Bedarf müsste hier durch weitere Kompensationsmaßnahmen gegengesteuert werden, wie beispielsweise einem noch stärkeren Ausbau von Photovoltaik.

    Fazit und Ausblick
    Die Zielsetzung für einen nahezu klimaneutralen Bestand der städtischen Gebäude bis 2030 ist ambitioniert, kann jedoch unter Mitwirken aller kommunalen Akteure erreicht werden. Durch eine günstige Entwicklung externer Einflüsse wie z. B. bei den Emissionsfaktoren wird der Weg zum Ziel deutlich erleichtert. Für die tatsächliche Realisierung müssen darüber hinaus aber auch die von der Kommune selbst realisierbaren Potenziale in voller Höhe ausgeschöpft werden. Dazu werden in einigen Teilen auch Änderungen der bestehenden Rahmenbedingungen erforderlich. Beispielsweise muss das Fernwärmenetz unter Mitwirkung des lokalen Energieversorgers erweitert und verstärkt mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Zudem muss sämtliches Handeln von Politik, Verwaltung und Gebäudenutzern auf eine Einsparung von THG-Emissionen hinwirken. Hierfür muss die Politik einen entsprechenden Rahmen festlegen. Dann kann es gelingen, der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand gerecht zu werden und anhand des kommunalen Gebäudebestandes aufzuzeigen, wie ein „nahezu klimaneutraler Gebäudebestand“ auch im größeren Rahmen – also auch über alle privaten und gewerblichen Gebäude – erreicht werden kann.

    EIne ausführlichere Darstellung der Vorgehensweise und der Ergebnisse der Studie können Abonnenten in der Ausgabe 09-2021 der Fachzeitschrift "Gebäudeenergieberater" nachlesen.

    Autoren:
    Dipl.-Ing. Jan Karwatzki / Bernd Winterseel, M. Sc. (Öko-Zentrum NRW)

     

     

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