Nachhaltig Bauen mit Recyclingmaterial

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Ein Interview des Westfälischen Anzeigers mit GF Manfred Rauschen im Sonderteil "Grün leben - Nachhaltig statt kurzfristig"

Nachhaltig Bauen mit Recyclingmaterial

„Nachhaltiges Bauen bezeichnet einen Planungs- und Bauausführungsprozess und eine Nutzungsweise, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind; das heißt auf Bewahrung des Ökosystems und der Umwelt, auf den Nutzen für Mensch und Gesellschaft und auf Optimierung und Steigerung der ökonomischen Potenziale eines Gebäudes.“ So erklärt Wikipedia den Begriff. Wie sich der Verbrauch von Energie und Ressourcen beim nachhaltigen Bauen konkret minimieren lässt und welche Aspekte sonst im Vordergrund stehen fragten wir einen ausgewiesenen Experten, den Diplom-Volkswirt Manfred Rauschen. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter beim Öko-Zentrum NRW mit Sitz in Hamm.

Herr Rauschen, ein Gebäude hat verschiedene Lebenszyklusphasen, die als Einflussfaktoren berücksichtigt und beim nachhaltigen Bauen nach Möglichkeit optimiert werden sollten. Das reicht von der Rohstoffgewinnung über die Gebäudeerrichtung bis zum Rückbau. Wo sehen Sie das größte Potenzial für Nachhaltigkeit?

Manfred Rauschen: Die Bauwirtschaft ist leider nach wie vor der größte Nutzer natürlicher Ressourcen und produziert auch mengenmäßig den größten Abfall. Die Potenziale liegen in vielen Bereichen. Die Graue Energie – also die Energie, die für die Erzeugung der Baustoffe notwendig ist – spielt in der Diskussion eine immer größere Rolle. Heute entfällt auf viele Gebäude, die im Betrieb eigentlich hochenergieeffizient sind, ein signifikant hoher Anteil der Energie von bis zu 50 Prozent bereits auf die Herstellung der Baustoffe. Bewertungssysteme für nachhaltiges Bauen legen dabei eine Energiebilanz für 50 Jahre zugrunde. Ein weiteres Stichwort wäre in diesem Kontext das sogenannte „urban mining“, das den städtischen Gebäudebestand schon als Rohstofflager und Quelle von Ressourcen sieht. Wo renoviert wird und alte Bauelemente herausgenommen werden oder auch ein kompletter Abriss erfolgt, kann man sich quasi als Minenarbeiter anschauen, welche Materialien wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Dieses Verfahren lebt davon, dass man zukünftige Stoffströme frühzeitig, also bevor die Materialien als Abfall anfallen, erkennt und einem bestmöglichen zukünftigen Verwertungsweg zuleitet. Ziel ist es, eine Planbarkeit der Kreislaufwirtschaft zu erzeugen.     

Kreislaufwirtschaft ist im Baubereich allgemein noch nicht so etabliert wie die effiziente Energienutzung und noch nicht in allen Köpfen angekommen – oder?

Rauschen: Bei der Kreislaufwirtschaft ist im nachhaltigen Bauen noch eine Menge Luft nach oben, obwohl es bereits gute Instrumente wie das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) gibt, die man nutzen könnte. Noch versucht man, allerdings mit begrenztem Erfolg, immer mehr Materialien wieder in den Baubereich zu integrieren. Die Quote für diese Recyclingmengen liegt aktuell bei beschämenden sieben Prozent. Nach Expertenmeinung kann man dies auf 21 Prozent hochfahren. Wir sprechen da von rund 19 Millionen Tonnen Sekundärmaterial.

Welche Materialien sind das konkret?

Rauschen: Das sind sicherlich Kies und Rohstoffe für die Betonherstellung. Das können aber auch Aluminium oder Kunststoffe aus Türen und Fenstern sein, die in die Kreislaufwirtschaft zurückgehen könnten.

Ein geringer Flächenverbrauch ist auch ein Konzept im nachhaltigen Bauen. Wie sehen hier die aktuellen Konzepte bei Planern und Architekten aus?

Rauschen: Das ist in der Tat ein Riesenthema. Wir sind aktuell bei 100 Hektar, die wir in Deutschland täglich versiegeln. Grünflächen werden in Bau- oder Nutzflächen umgewandelt. Hier besteht die Notwendigkeit, neue Konzepte zu entwickeln. Ein sehr schönes Projekt entsteht gerade in Dortmund, wo es den Ansatz für eine Tiny-House-Siedlung gibt. Es wird geschaut, wie sich Menschen auf kleineren Grundflächen oder in kleineren Häusern wohlfühlen können.

Ist das verstärkt eine Aufgabe für Kommunen?

Rauschen: Das liegt in der Tat stark in der Verantwortung von Kommunen, die den Druck haben, neue Wohnbauflächen auszuweisen und dabei möglichst flächeneffizient vorzugehen. Müssen es für die Familie immer 170 m2 sein mit großem Garten? Auch das Mehrgenerationen-Wohnen spielt für einen geringeren Wohnflächenverbrauch zukünftig sicher eine Rolle. Ein wichtiger Punkt ist auch die Frage, wie Neubaugebiete mit Energie effizient im Sinne des Klimaschutzes versorgt werden.  

Wie sieht für Sie das Ökohaus der Zukunft aus?

Rauschen: Ein ehemaliger Landesbauminister hat einmal gesagt: Am besten baut man gar nicht. Das noch so ökologische Bauen auf einer Fläche im Grünen im Speckgürtel von beispielsweise Hamm bedingt erst einmal einen riesigen Ressourcenaufwand. Auch produziert man durch den in Neubaugebieten häufig mangelnden Anschluss an den ÖPNV eine Menge Individualverkehr. Wenn man baut, ist die Frage des Standortes sicher entscheidend. Und wenn man diesen gefunden hat, sollte durchaus im Sinne eines Tiny-House mit kleinen Grundrissen gebaut werden. Und flexibel, damit man das Haus in unterschiedlichen Formen nutzen kann über einen möglichst langen Zeitraum. Dazu kommt der Faktor Baustoffe, also Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, das bei uns hier im Westfälischen noch zu wenig als Baustoff genutzt wird, sich aber hervorragend eignet. Auch gibt es ein ganzes Arsenal an Dämmstoffen wie Wolle, Holz- und Zellulosefasern, also Altpapier. Die Nutzung regenerativer Energien für Strom und Wärme gehört ebenfalls dazu. Unter Klimaschutzaspekten darf man heute kein Gebäude mehr errichten, dass nur der Energieeinsparverordnung entspricht. Man muss viel mehr klimaneutrale Gebäude haben beim Betrieb und der Errichtung, wo wir wieder bei der Grauen Energie sind.    

Wir haben noch nicht über die Kosten gesprochen. Ist nachhaltiges Bauen teurer? Und gibt es dafür staatliche Fördermöglichkeiten, etwa durch die KfW?

Rauschen: Vieles spricht erst einmal dafür, dass es nicht teurer ist. Es gibt Faktoren, die das nachhaltige Bauen als günstigere Alternative dastehen lassen. Hat man nur möglichst billige Baukosten im Blick, hat man im Betrieb häufig eine wirtschaftliche Fehleinschätzung, wenn man den Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet. Trotz eventuell höherer Investitionskosten rechnen sich nachhaltige Konzepte auf Zeit. Wir haben auch die Qualität im Fokus, möglichst langlebig zu bauen und versuchen, den frühen Austausch von Baustoffen zu vermeiden. Diese Prozessqualität im nachhaltigen Bauen hilft, Fehler und Risiken im Baubereich zu vermeiden. 

Von Michael Neumann


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